Dr. Hubertus M. Thomas,
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching, Projektwissenschaftler
Vorstellung des
Plasmakristall-Experiments
Plasmakristalle sind eine neue Form der Materie.
Ein Plasma, ein ionisiertes Gas, bestehend aus Elektronen und Ionen, ist der vierte Zustand der Materie, nach Kristall, Flüssigkeit und Gas, der ungeordnetste Zustand der Materie.
Die Kristallisation eines Plasmas, ohne den Zustand Plasma zu verlieren, kann nur mit einer weiteren Komponente im Plasma, Mikropartikeln, erreicht werden. Die Mikropartikel (1 Mikrometer = 1/1000 mm) werden von den freien Ladungen, Elektronen und Ionen, im Plasma aufgeladen. Durch die geringere Masse der Elektronen und damit deren größerer Beweglichkeit, treffen im Mittel mehr Elektronen das Mikropartikel als Ionen. Dies führt zu einer hohen negativen Ladung auf den Partikeln von einigen 1000 bis 10 000 Elektronenladungen. Diese Ladung wird durch eine positive Ionenwolke abgeschirmt.
Bei hoher Dichte der Mikropartikel beginnen die Partikel miteinander über die abstoßende Coulomb-Kraft zu wechselwirken. Dies kann zu einer starken Kopplung (Flüssigkeit) führen, bis hin zur Kristallisation der Partikel in typischen Abständen von 1/10 mm dem "Plasmakristall". Das heißt: Verglichen mit der Größe der Partikel ist der Abstand zwischen benachbarten Mikropartikeln im Plasmakristall sehr groß.
Besondere Eigenschaften der Plasmakristalle:
- Teilchen können individuell beobachtet werden à Untersuchung auf kinetischem Level.
- Zeitskalen werden durch die grosse Masse verlangsamt à hohe Zeitauflösung.
- Partikel können kontrolliert werden à aktive Experimente.
Einfluß der Schwerkraft:
- Partikel sedimentieren (fallen).
- Partikel können aufgrund ihrer hohen Ladung elektrostatisch levitiert (in der Schwebe) gehalten werden mittels eines elektrischen Feldes.
- Elektrische Feldstärke zur Levitation reicht nur in der Plasma-Randzone aus à nur wenige Plasmakristall-Gitterebenen sind in der vertikalen Richtung möglich.
- Plasma-Randzone ist ein inhomogenes Gebiet à Beeinflußung der Struktur der Plasmakristalle.
Experimente unter Schwerelosigkeit:
- Viel schwächere Kräfte können untersucht werden.
- Partikel befinden sich im Hauptplasma.
- Große dreidimensionale Kristalle können gebildet werden.
Die Experimente werden in einer Hochfrequenz (HF)-Gasentladung durchgeführt. Die Partikel werden in das Plasma eingebracht über einen speziellen Injektionsmechanismus, laden sich im Plasma innerhalb von Sekundenbruchteilen auf, werden mit einem Laser beleuchtet; die reflektierte Laserstrahlung wird mit einer CCD-Kamera aufgenommen und auf Video abgespeichert.
Bisher wurden Experimente auf drei Parabelflügen und zwei Höhenforschungsraketen (TEXUS) durchgeführt. Insgesamt wurden dabei ca. 150 Parabeln geflogen und dabei jeweils 10 bis 25 Sekunden Schwerelosigkeit erreicht, was insgesamt ca. 45 Minuten Schwerelosigkeit entspricht. Bei den TEXUS-Experimenten gab es jeweils 6 Minuten Schwerelosigkeit. Die Raketenexperimente wurden von Kiruna, Nordschweden, aus gestartet.
Bei den bisherigen Experimenten unter Schwerelosigkeit wurden unterschiedliche Partikelgrößen und Gase eingesetzt. Die beiden TEXUS-Experimente und die Parabelflüge lieferten neue, interessante Erkenntnisse über dieses neue Gebiet unter Schwerelosigkeit.
Bei dem nächsten Experiment unter Schwerelosigkeit, dem Plasmakristall-Experiment auf der Internationalen Raumstation (ISS), haben wir bis zu 40 Stunden Experimentierzeit. Dies ermöglicht uns, das kolloidale Plasma im Detail zu untersuchen, Experimente zu reproduzieren und damit sehr viel mehr über dieses neue Forschungsgebiet herauszufinden.
Geplant ist eine Serie mit Basis-Experimenten von ca. 8 Stunden Dauer, die uns ermöglicht, alle möglichen Parameter (Partikelgröße und -anzahl, Gasdruck, HF-Lei-stung) zu variieren und deren Einfluß zu untersuchen. Nach Auswertung dieser Basisexperimente ist eine zweite Serie mit dedizierten Versuchen geplant, die auf den in der ersten Serie gewonnenen Erfahrungen aufbaut. Die erste ISS-Crew wird die Basis- experimente durchführen, die zweite Serie wird entweder von der ersten Crew angefangen und von der dritten Crew fortgeführt oder von der dritten Crew durchgeführt. Dies ist abhängig davon, wann die Experimentdaten (Videobänder und Datenfiles) von der Raumstation zur Erde transportiert werden können.
Für die Zukunft ist ein weiterführendes Engagement auf der Raumstation geplant, eine Internationale Mikrogravitations-Plasma-Facility, die vielen Wissenschaftlern auf der ganzen Welt Experimente mit kolloidalen Plasmen unter Schwerelosigkeit ermöglichen soll. Für diese Facility sind sowohl Arbeiten zur Grundlagenforschung als auch für die anwendungsorientierte Forschung geplant.